Center for Life Ethics
Schaumburg-Lippe-Straße 7
D-53113 Bonn
Unsere Fähigkeit, gerechte und nachhaltige Antworten auf globale ökosoziale Bedrohungen zu finden, wird entscheidend davon abhängen, wie wir divergierende ethische Perspektiven und Positionen aushandeln und miteinander integrieren. Unterschiedliche Verständnisse von "Mensch", "Nicht-Mensch", "Natur" oder "Umwelt" müssen für unsere Projektionen möglicher und wünschenswerter Zukünfte berücksichtigt werden. Dies setzt voraus, dass wir die Legitimität abweichender Weltanschauungen, einschließlich der Möglichkeit "anderer Welten", anerkennen und einen gleichberechtigten, pluriversalen Dialog über die Auswirkungen führen, die von verschiedenen Arten der Weltgestaltung zu erwarten sind, und letztlich, dass wir unsere eigenen wissenschaftlichen Praktiken entsprechend überdenken.
Vom 20. bis zum 24. Mai 2024 traf sich eine transdisziplinäre Gruppe von dreißig (30) Akademiker*innen, Fachleuten und Aktivist*innen aus Lateinamerika, Afrika, Asien und Europa am Center for Life Ethics in Bonn. Eine Woche lang tauschten sich die Teilnehmer*innen über Praktiken, Erfahrungen und Ideen zu Umweltethik und -bildung für eine Zukunft jenseits des vorherrschenden Fortschrittsparadigmas aus. Eine Reihe von Vorträgen und Workshops bot Raum zum reflektierten Erleben verschiedener ko-kreativer, dialogischer und performativer Praktiken und Methoden aus der Interkulturellen- und Umweltforschung und -bildung.
Die Veranstaltung begann am Montagmorgen mit einer rituellen Zeremonie in den Ruinen der ehemaligen Kathedrale des Klosters Heisterbach auf den Hügeln entlang des Rheintals. Am Nachmittag folgte ein Güxamkan (dialogische Mapuche-Praxis zur kollektiven Tiefenanalyse) zu Mapuche-Konzeptionen von „Person“, „Natur“ und „Umwelt“.
In den folgenden Tagen experimentierten die Teilnehmer*innen mit verschiedenen Methoden, die auf verkörperten Gefühlswissen (sentipensar) basieren, wie Forumtheater, systemischer Aufstellung, theatralischem Geschichtenerzählen und spielerischem Erleben, mit indigenen Methoden zur interkulturellen Wissensschaffung wie der kontextuellen Übersetzung und der Crianza y Siembra de Sabidurías y Conocimientos, CRISSAC („Aufzucht und Aussaat von Weisheit und Wissen“) sowie anderen performativen und dialogischen Praktiken. Auf die einzelnen Workshops folgten jeweils kurze Präsentationen der Teilnehmer*innen zu aktuellen Forschungsthemen und laufenden Projekten, darunter dekoloniale Gender-Studien, indigene Vorstellungen aus Abya Yala [1] und Westafrika von „Leben“, „Ethik“, „Natur“ und „mehr-als-menschlichen“ (more-than-human) Beziehungen, das Pluriversum als konzeptionelles Werkzeug für transformative Aktionen in Wissenschaft und Kunst, die WISE-Initiative der Universität der Vereinten Nationen zur Anerkennung der Bedeutung indigenen Wissens für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft, interkulturelle indigene Schulen und Universitäten (Amawtay Wasi, Ecuador; UAIIN, Kolumbien) und deren Bildungs- und Forschungskonzepte (z. B. CRISSAC) sowie wissenschaftliche Konzeptionen nicht-kausaler Phänomene.
Die Veranstaltung endete am Freitagnachmittag mit einem Abschlussritual, gefolgt von abschließenden Reflexionen und einem ko-kreativen Workshop zu möglichen Folgeprojekten, die von den Teilnehmer*innen gemeinsam entwickelt werden sollen.
Die Veranstaltung war Teil eines Verbundprojekts, das von einem Konsortium verschiedener Institute der Universität Bonn (Center for Life Ethics, Global Heritage Lab, Interdisziplinäres Zentrum für Lateinamerika-Studien, Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, ZEF Zentrum für Entwicklungsforschung) mit Mitteln aus den Transdisziplinären Forschungsbereichen (TRA) 4 "Individuen, Institutionen und Gesellschaften", TRA 5 "Gegenwärtige Vergangenheiten" und dem Argelander Programm durchgeführt und von Jan Linhart (Center for Life Ethics) und Alejandro Mora Motta (Global Heritage Lab) unter aktiver Beteiligung der eingeladenen Teilnehmer*innen [2] koordiniert wurde. Unsere gemeinsamen Aktivitäten in Bonn bauten auch auf vorbereitenden Forschungsaktivitäten auf (z. B. Forschungsprojekt Towards Pluriversal Dialogues). Während einer minga [3] an der Autonomen Interkulturellen Indigenen Universität (UAIIN) in Popayan (Kolumbien, Februar 2024), hatten wir bereits mit einer Auswahl indigener Praktiken experimentiert, die ein besonderes Potenzial bei der Umsetzung pluriversaler Dialoge versprechen, und diese für unsere Veranstaltung in Bonn aufbereitet, um sie dort zu validieren.
Durch die Auswertung dieser praktischen Erfahrungen aus verschiedenen disziplinären, positionellen, kulturellen und geopolitischen Perspektiven erhoffen wir uns genauere Erkenntnisse über das Potenzial, die Durchführbarkeit und die Herausforderungen der Mobilisierung divergierender Perspektiven für die gemeinsame Erarbeitung sozial und ökologisch gerechter und nachhaltiger Lösungen. Darüber hinaus war unser Treffen in Bonn als Auftaktveranstaltung und Inkubator für gemeinsame Publikationen und Folgeprojekte der Teilnehmer*innen angelegt.
[1] Abya Yala bedeutet in der Sprache der Kuna "reifes Land" und wird von vielen Indigenen Amerikas als nicht-koloniale Bezeichnung für ihren Kontinent verwendet.
[2] Dr. Luis Fernando Sarango (Kichwa), Direktor der Pluriversidad Amawtay Wasi, Ecuador; Abelardo Ramos (Nasa), UAIIN, Kolumbien; Claudia Palechor (Yanacona), UAIIN, Kolumbien; Gabriel Llanquinao (Mapuche), Universidad Católica de Temuco, Chile; Francisca Elias Canás (Kaqchikel), Escuela Normal Bilingue Intercultural NIM NA'OJ, Guatemala; Dr. Pablo de la Cruz, Fundación Gaia, Kolumbien; Dr. Yilson Beltran, Universidad Nacional de Colombia; Dr. Gillermo Pacheco, Universidad Austral de Chile; Ruth Sanders, Politik im Raum, Deutschland; Dr. Nikolaus von Stillfried, Paradox Science Institute, Deutschland; Fritz Letsch, Netwerk Gemeinsinn, Deutschland.
[3] Kichwa/Quechua-Praktiken gegenseitiger Hilfe und kollektiver Arbeit zur Bündelung von Kräften für größere Unternehmungen, wie z. B. um ein Haus zu bauen, ein Feld zu roden, zu bestellen oder zu ernten.
Schwerpunkt "Globalisierung"
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